Schwiegervater

der Mittagstisch war bei Eintreffen immer schon fertig gedeckt, mit weißem Tischtuch und dem besten Porzellan aus der Anrichte, so wie sich das Sonntags gehört. Was magst denn trinken mein Madl? Die obligatorische Frage bei der Begrüßung, denn der trockene Weiße, den das Madl gerne trinkt, stand im Esszimmer doch schon längst bereit. Bei den Schwiegerleuten gab es halbe halbe bei der Arbeitsteilung, und zwar lange schon bevor es in der Politik und der nächsten Generation zum Thema wurde. Der Vater hievte die schwere Fritteuse vom Kasten, deckte den Tisch, brachte den üblichen Stromausfall wieder in Ordnung, begrüßte die Ankommenden. Die Mutter, Herrscherin der Küche, rührte derweil im Topf und sicher auch schon mal an seinen Nerven.
In der Einbauschrankvitrine auf weißem Häkeldeckchen, immer eine Flasche Metaxa, mitgebracht von der letzten Ferienreise, bereit um herausgeholt zu werden wenn es etwas zu feiern gab, oder aber um Gelassenheit zu bewahren vor so manch schwieriger Situation.

Nie fielen böse Worte, sein gütiger Humor und seine Demut vor dem bescheidenen Glück hätten das nicht erlaubt. Seine Kinderstube auch nicht.
Die war in den Nachkriegsjahren in Wien Brigittenau. Ein Bezirk nahe der Donau und des Wiener Praters. Zuhause der Heimkehrer-Vater mit Kopfschusswunde, draußen auf der Straße trieben sich Gangs vom Gemeindebau und die Gauner  der nahen Unterwelt herum. Den Halbseidenen lediglich die Frisur nachgemacht, die kleinen schwarzweiß Fotos von damals zeugen davon. Fotos, wie aus dem Kinoprogrammheft Die Halbstarken entsprungen.

Groß und ganz stark ist er dort geworden. Ein Bollwerk von Mann. Einer den man sich herbeiwünscht wenn man durch den Wald oder durch das Leben hüpft, und doch Angst vor Bären, Spinnen oder Lehrern hat.

Jung hatte er die Liebe gefunden. Die erste Wohnung, die ersten Kinder, die ordentliche Welt der damaligen Jahre. Seine beiden Buben wurden von ihm ins Gymnasium geschickt, obwohl das damals in den Siebzigern nur etwas für die besseren Leute war. Das Bärenfell am Weg zu Elternsprechtagen übergeworfen und so einigen Lehrern mit Stolz und der Würde eines Arbeiters gegenübergetreten. Es sollte was Anständiges werden aus den beiden, etwas worüber er dann später in der Nachbarschaft und auf der Arbeit erzählen könnte. Oft war es nicht einfach bis dorthin. Einer der Buben hat ihn am Weg zum Erwachsen sein ganz schön gefordert. Dabei hat eine gebrochene Vereinbarung, ein unerlaubt gefahrenes Auto und die zufällige Begegnung an einer Kreuzung auch eine Rolle gespielt. Der Metaxa wurde aus der Vitrine geholt. Bevor der Bub nach Hause kam.

Aus seinen Söhnen ist dann später schon was recht ordentliches geworden. Die Familie wurde grösser, erweitert mit Schwiegertöchtern und Enkelkindern. Sonn und Feiertags, wenn das weiße Tischtuch ausgebreitet wurde, die Mutter ich Kochtopf rührte, und der Strom  unter der Last der glühenden Herdplatten zusammenbrach, da trafen sich alle unter seiner Patronanz. Sogar die Enkelkinder waren dabei artiger als sonst.

Dann wurdest du krank. Ich wollte davon nichts wissen, jag ihn doch einfach fort den Bären, so wie du es immer für andere getan hast. Das ich dich nicht so oft im Spital besuchte wie du es verdient hättest, holt mich immer noch ein.

Der Bär hat gesiegt, und auch du bist schon lange gegangen lieber Schwiegervater. Aber es gibt Menschen, die haben auch nach dem Tod noch Präsenz.
Du bewegst dich schon wie dein Vater, sagte ich neulich zu deinem Sohn. Nur das mit dem Spinnen verjagen, das könnte er noch ohne murren bitte übernehmen.

Heute ist bei uns in Österreich Vatertag. Für alles mögliche und unmögliche gibt es schon einen Tag. Nur speziell für Schwiegerväter nicht. Dabei sollten auch sie einmal im Jahr gefeiert werden.
Männer, die neue Töchter vorbehaltlos in Familien willkommen heißen.

Ich trink heute ein Glas Metaxa auf dich.

Über andrea

Geschichten aus dem Alltag
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7 Antworten zu Schwiegervater

  1. versspielerin schreibt:

    bewegend und berührend. ein wunderbares gedenken.
    da mag ich spontan mit dir anstoßen (auch auf meinen schwiegervater, den ich sehr mochte und der leider auch schon vor ein paar jahren gehen musste).
    liebe grüße!

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  2. Anna-Lena schreibt:

    Leider habe ich meinen nie kennengelernt, er ist früh gestorben. Dafür hat seine frühere Verlobte letztes Jahr die Augen mit 95 geschlossen. Meinem Mann wäre es umgekehrt viel lieber gewesen, er hat seinen Vater geliebt, sich mit seiner Mutter nur arrangiert.

    Prost auf die Schwiegerväter! 🙂

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  3. traeumerleswelt schreibt:

    ein wunderbarer Beitrag, mir voll aus dem Herzen „gesprochen“! 🙂

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  4. wholelottarosie schreibt:

    Schön.
    Solch einen Schwiegervater hätte ich mir gewünscht.
    Von Herzen.

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