Vatertag

„Ich bin es, dein Vater“
In jener Zeit, als es schon sehr schlecht aussah, nahm ich deine Anrufe immer entgegen, verließ Besprechungsräume oder blieb mit dem Auto am Parkstreifen stehen wenn ich deine Nummer am Display sah. Die wirklich wichtigen Dinge sieht man erst in schlechten Zeiten mit klarem Blick. Ich sagte auch mal eine Geschäftsreise ab, lud zu Kaffee und Himbeerkuchen. Die Bilder jenes nachmittags, während einer guten Krankheitsphase, so einfach, so unaufregend, auf der Veranda in frühsommerlicher Wärme,  haben bis heute einen goldenen Bilderrahmen in meinem Kopf.

 

Wir hatten den Vatertag nie gefeiert. Kommerzieller Blödsinn war das für uns. Und außerdem, wenn du gerufen hast sind wir sowieso alle gekommen.

Im Spital standen wir mit zugeschnürter Kehle vor den Ärzten, aus Angst sie würden uns die Wahrheit darüber sagen wie es steht. Lieber nicht nachfragen, die Hoffnung am Leben halten.
Fast ein halbes Jahr ist es nun her, dass du gegangen bist. Alles ist anders, nur die Welt ist gleich geblieben. Immer noch unruhige Zeiten. Eine unruhige Wahl haben wir hinter uns, unruhige Bürger, unruhige Politiker. Über vieles hättest du dich aufgeregt. Vieles hättest du mit früher verglichen. Mit einer Zeit, als jeder noch Arbeit hatte, die Politiker ehrlicher waren, die Mädchen Petticoats trugen, und du als Flüchtling über die Grenze kamst, um am übernächsten Tag schon zu arbeiten. Als der Westen noch golden war.

 

Wie oft bist du in die Kirche gegangen, und hast für uns eine Kerze angezündet. Vor den Maturaprüfungen deiner Enkel, oder um den Herrgott um einen gnädigen Fahrschulprüfer zu bitten.

Deine Handynummer habe ich bis heute nicht gelöscht. Das Endgültige daran kann ich noch immer nicht ertragen. Noch fehlt mir der Mut mir Fotos anzusehen, denn sie würden die Gewissheit verstärken, dass es nie mehr so sein wird wie davor.
Eine liebe Freundin hat mir geschrieben „irgendwann wird der Schmerz erträglich, und du wirst lächeln können bei  den Erinnerungen.“
Ich werde auch einmal eine Kerze anzünden und dafür bitten. Vielleicht noch heute, am Vatertag.

 

hiányzol nekünk

 

 

Über andrea

Geschichten aus dem Alltag
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8 Antworten zu Vatertag

  1. Belana Hermine schreibt:

    Ja, tu das. Nimm DEINEN Abschied. Und nimm Dir die Zeit, die Du dafür brauchst.

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  2. hafenmöwe schreibt:

    Danke für diese berührende Schilderung und den Satz:“Die wirklich wichtigen Dinge sieht man erst in schlechten Zeiten mit klarem Blick.“

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  3. wol schreibt:

    Unwahrscheinlich schöner Rückblick!

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  4. grenzbereiche schreibt:

    Részvét. Trotz aller Trauer – wie schön wenn man diese Zeilen über eine Beziehung so schreiben kann.

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